Sonntag, 11. März 2012

1 Jahr später

Am 11.März 2011, um 14:46 Uhr, hat es das große Tohoku-Erdbeben in Japan gegeben. Und nun jährt sich das Ereignis.
Ich sah dem Ganzen zwiegespalten entgegen und bin mir auch immer noch nicht so sicher was ich denken und fühlen soll. Es ist nicht, dass ich traurig bin oder melancholisch, es ist ein Tag wie jeder andere. Das Wetter hier ist wieder normal schlecht und ich habe nicht vor etwas besonderes zu machen. Außer das sich auf keinen Fall den Fernseher einschalte, damit ich mich nicht über all die Berichterstattungen aufrege. Die Normalität wieder ist schon erschreckend. Das Ereignis hat mich stark geprägt, da dachte ich, dass ich wenigstens ein wenig nostalgisch zurück an meine Freunde denke. nein, mit denen hab ich ausreichend Kontakt als dass ich nicht sehnsüchtig an sie denken muss. An den Schrecken beim Erdbebens selber kann ich mich -glücklicherweise?- auch nicht mehr deutlich erinnern. Die Bilder bekomm ich hin, aber nicht mehr das Gefühl, die Angst, aufsteigende Panik und erst recht nicht die Angst danach, als die Nachrichten Deutschland komplett verrückt gemacht haben.
Bin ich so abgebrüht? Selbstschutz? Oder einfach normal wenn man nicht mehr an dem selben Ort ist?

Ich versuche neutral auf die Situation zu schauen. Und es fällt einem echt schwer. Es ist ja nicht so, das sich mich komplett von sämtlichen Informationen abgeschottet habe. Im Gegenteil, ich habe Seminare besucht, wo wir versucht haben die Informationen zu deuten die wir bekommen, speziell was Essen nach Fukushima angeht. Ich lese Nachrichten und ich hab auch die eine oder andere Dokumentation und Berichterstattung jetzt zum Jahrestag gesehen.
Das alte Problem: Japan sagt nichts und Deutschland gerät in Panik. Über das Jahr hinweg hab ich Nachrichten verfolgt und die Berichterstattung ist aus dem Land selber eher mies bis verwirrend. So wird häufig über das Nahrungsmittelproblem gesprochen, doch in Form von "Wir heben die Maximalgrenze der zulässigen Becquerel-Aufnahme an" oder "2400 Kühe sind noch nicht auf Radioaktivität überprüft, ihr Fleisch aber schon im ganzen Land verteilt". Aha. Wenn man das auseinanderfriemelt, dann sieht man, dass unter anderem keine einheitlichen Einheiten (Becquerel oder/ oder Sievert) genutzt werden und dass die Messungen eher lückenhaft gemacht werden. Weiterhin in dem Seminar sind wir auf die Problematik von Nationalstolz gekommen, so werden noch immer Fukushima-Produkte verkauft und auch gut vekauft. Oder Messungen aus staatlicher, privater oder internationaler Hand. Alle sind sie unterschiedlich oder vor und nach der Verarbeitung der Nahrungsmittel gemacht wurden. Daraus folgt die Frage: wenn das Essen zubereitet wird, ist es weniger strahlend? Und wenn ja, wo geht die Strahlung hin (-> Kochwasser) und dann, wo geht das Kochwasser hin?
Ganz ehrlich, wenn ich die Texte lese und überlege nach Japan zurückzugehen, krieg ich schon Angst. Oder frage mich, wie schlimm habe ich in Japan gegessen?

Wenn man aber dann auch weiter liest oder an die Erfahrungen direkt nach dem Erdbeben zurückdenkt: es interessiert so gut wie niemanden! Ganz ehrlich, außer die Leute die direkt für uns zuständig waren haben uns auf zwei, drei Sachen aufmerksam gemacht. Aber außer der täglichen Radioaktivitätstabelle in der Zeitung kann ich mich an nichts erinnern.
Wie Tagesschau.de einmal treffend formuliert hat, das "vielfache Vergessen um Fukushima" hat eingesetzt. Einer der wenigen Artikel die ich für gut befinde. Nicht nur WIR und die Welt hat das Beben und Fukushima, und noch schneller die Opfer vergessen. Nein, leider auch in Japan selber wird es nicht mehr groß bedacht. So habe ich es mit den Stromsparungen miterlebt, die auf einmal aufhörten, als würde TEPCO weiter produzieren, oder mit Gemüse, dass ganz am Anfang als bedenklich eingestuft worden ist, wieder auf dem Markt kam. Da sagt aber meine Logik, dass doch jetzt erst recht die Radioaktivität mit Regen und Grundwasser sich schön verteilt hat. Aber gut, vielleicht lieg ich falsch, da ich weder Experte in Physik, Biologie, Geologie oder was auch immer bin.

Zum Jahrestag bin ich gefragt worden, ob ich ein Interview geben möchte. Ich habe zugesagt, sowas mache ich doch immer gerne. Nach einigen Telefonaten wo wir einige Vorfragen geklärt haben, bin ich dann doch nicht eingeladen worden. Mir schien es so, als habe ich nicht das erzählt, was die Presse hören wollte. Immer kamen Fragen wie "Wie ist das Atomkraft-Bewusstsein nach Fukushima?" oder "Hast du Demonstrationen erlebt?". Und jedes Mal musste ich sagen "Nein, ich habe nichts erlebt, gelesen oder einer meiner Freunde hat sich negativ zur Atomkraft geäußert." Soll ich was Falsches erzählen? Nur weil Deutschland sich die Panik zunutze gemacht hat und einen Atomausstieg plant, heißt das nicht, dass Japan das auch tut. Natürlich wurde anfangs drüber berichtet, aber seit dem Erdbeben bin ich mir sehr sicher, weil ich andere Fakten kannte, wird das berichtet was gut hierher passt.
In Japan noch habe ich einen englischsprachigen Unterricht besucht, wo wir eine Art Vorstellung von aktuellen Themen machen mussten. Eher die Japaner, damit sie Englisch und Präsentationen üben können. Da haben natürlich einige das aktuelle Thema Atomkraft gewählt. Es wurde eine kleine Historie bezüglich Fukushima Dai-ichi gegeben, und dann ging es zu der Atompolitik Deutschlands und unseren Ausstieg über. Es wurde weder reflektiert ob das schlau ist noch warum wir das auf einmal gemacht haben. Und es folgte keine Beurteilung durch die Studenten. Gut, wer mal mit japanischen Studenten gearbeitet hat, weiß, dass die eigene Meinung eher selten preisgegeben wird, aber in der anschließenden Diskussion, wo ich die Fakten aus Deutschland richtig gestellt habe, war anzusehen, dass erstens keiner der Studenten ansatzweise an dem Thema interessiert war, noch dass sie in Betracht gezogen haben, dass es anders geht und es sich ändern könnte. Gut, ist natürlich hier fraglich, ob ich eine Klasse an der Uni stellvertretend für ein Land nehmen kann.
Hier finde ich einen Artikel aus dem "Der Spiegel-Geschichte" (Ausgabe 5/2011, S. 102-107) namens "Böse Bombe, gutes Atom" nennenswert. Hier werden die Erfahrungen der Bösen Atoms -die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki- dem "Guten Atom" -der Atomkraft, geld-und prestigebringend- gegenübergestellt. Die Frage war, wie kann ein Land dass am besten um die Auswirkungen weiß, Atomkraft produzieren? Die Wirtschaft hatte die Macht. Nach dem Weltkrieg war Atomkraft (mit Wissen und ersten radioaktiven Materialien aus Amerika) eine günstige aber effektive Form der Energiegewinnung, die Japan als aufstrebende Wirtschaftsmacht bitter nötig hatte. Auch erste Ängste hat die Politik unter Premierminister Nakasone der Wirtschaft mit finanzieller Hilfe ausgeredet, wodurch nun Politik und Wirtshaft eng verbunden sind. Es hieß dass eine böse Macht auch Friedvolles vollbringen kann und "den japanischen Bürgern wurde vorgegaukelt dass die Bombe und die Energie zwei komplett verschiedene Dinge sind." (S.106). Es ging dann so weit, dass die ersten Beschwerden der Anwohner mit Geld beruhigt worden. Es heißt, dass die Gewinne der ersten 5 Jahre mit den angrenzenden Gemeinden geteilt wurden, sodass diese ebenfalls profitierten. Ein mir insgesamt realistische erscheinender Bericht. Diese Politik der unterschiedlichen Atomen erklärt schon die gewisse Neutralität der Atomkraft gegenüber.
Aber ZDFzoom berichtet in einem mir absolut merkwürdigem Film, dass es immer schon Proteste gegeben hat. In "Die Fukushima-Lüge" vom 07.03.2011 werden Ingenieure und Politiker interviewt, die schon IMMER von den Fehlern in Fukushima Dai-ichi wussten und nie erhört worden sind. Die Politik sei zu mächtig gewesen. Auch Naoto Kan, der damalige Premierminister, erklärt, er sei Atomkraftgegner, aber ihm seien die Hände gebunden gewesen. Aber auch, was ich doch für sehr glaubhaft halte, er wusste um die Situation zur Zeit des Erdbebens selber nichts. Er hat nach Eigenaussage erst aus dem Fernsehen erfahren, dass es zu Explosionen gekommen ist. Andere Ingenieure haben es herausgesehen, da Kühlgeräte verkehrt herum angebaut worden sind.
Alles Fakten die jetzt erst kommen? Warum jetzt erst? Aufgrund der Tatsache, dass der ganze Beitrag fürchterlich reißersich auf gemacht worden ist, denke ich mir, dass nur eine Hälfte wahr ist, von dem was uns erzählt wird. Es ergibt für mich keinen Sinn, warum Verantwortliche, Wissende, Mächtige ein Jahr geschwiegen haben, um auf einmal den Deutschen zu sagen "Atomkraft ist schlecht. TEPCO hat gepfuscht. Alles Korrupte. Wir haben es schon immer gewusst!" Es werden mal wieder keine knallharten und vor allem nachvollziehbaren Informationen gegeben, eine Sache, die ich schon vor einem Jahr kritisiert habe. Man beruft sich auf schwammige Interviews und Informationen von -wem?
Trotzdem gehe ich schweren Herzens davon aus, dass die andere Hälfte wahr ist. Und selbst nur eine Hälfte ist erschreckend. So habe ich zum ersten Mal in dem Beitrag gehört, dass es bereits am 11.März einen GAU gegeben hat und die Brennstäbe bereits auf dem Boden lagen. Es überrascht mich nicht, es hat mich in dem Moment nur mit Angst erfüllt. Die Erklärung warum man das erst zwei Monate später zugegeben hat (also dass es überhaupt zu einem GAU kam) wurde damit beantwortet, dass man es aufgrund der nicht vorhanden Sicht in den Reaktor nur vermuten konnte. Beruhigend.

Und da ist es wieder passiert: ich wollte Japan meine Gedanken mitgeben und rege mich wieder über Deutschland und seine Nachrichten auf. Aber mit dem heuchlerischen "Wir haben euch nach 2 Monaten vergessen, nutzen aber euer Leid um ein Jahr später was berichten zu können und tun so als ob wir an euch denken" komm ich nicht wirklich klar. Es nervt mich auch bei 9/11 jedes Jahr, aber nun hab ich persönlich damit zu tun.

Einen nennenswerten Blick auf die heutige Tageschau.de-Seite. Man sieht das Top-Thema ist nicht Japan, obwohl es die meisten Artikel hat, sondern die deutsche Reaktion im Kampf gegen die Atomkraft mit einer großen Spur von Selbstverliebtheit. Quod erat demonstrandum.
Ich will nicht sagen, dass meine Meinung die einzige ist. Ich bin wissenschaftlich garantiert nicht ausgebildet genug, als das meine Wortschwall hier stellvertretend für die Wahrheit steht, ich habe nur das Gefühl das was verkehrt ist und da wollte ich meinem Blog nicht vorenthalten.

Meine Gedanken gelten heute Japan und seinen Opfern. Des Erdbebens und des Tsunamis. Die sollte man unter dem ganzen Fukushima-Wahn in Deutschland niemals vergessen.