Donnerstag, 12. Mai 2011

Contemporary Identity

Es ist unglaublich: ich habe einen Prof der mich übelst zu Denken und zum (noch mehr)Lesen anregt. Ist es nicht das, was man von einem guten Prof erwartet?
Es handelt sich hier um Julian Manning. Er ist Ethnologe und obwohl mich sein Hauptrecherchegebiet nicht soo wahnsinnig anspricht (Nikkeijin, Rückwanderer aus Brasilian nach Japan) kann man doch sagen, dass seine Einstellung zur Wissenschaft die ist, die an sich auch Richard Rottenburg in Halle deutlich gemacht hat: alles hinterfragen.
Zu dem Seminar "Contemporary Identity" wird das auch ordentlich praktiziert. Die Hauptfrage in dem Seminar ist: warum oder sind Japaner einmalig? Aber schnell stellt sich heraus dass Japaner aufgrund ihrer Einmaligkeit Japaner sind. Das ist argumentativ schwachsinnig. Man kann eine Sache nicht mit der Sache selber belegen, um aus dem Unterricht zu zitieren. In seinem Unterricht versuchen wir nun die in der Wissenschaft als einmalig beschriebenen Dinge zu betrachten und gebenfalls als falsch zu sehen.
Unter anderem fallen da Argumente in den Raum wie "Japan ist ressourcenarm". Ich als geographischer Vollpfosten nehme das hin, aber wie sich herausstellt hat Japan genügend Ressourcen um seine eigenen Leute zu ernähren und das ist bevölkerungstechnisch größer als Frankreich oder Deutschland. Problematisch wurde es erst in dem Öl-Zeitalter. Es wurde zur Basis jeglicher Produktion und daran mangelt es Japan. Faktisch hat Japan aber genügend Ressourcen, gerade auch die beliebten Edelmetalle Gold und Silber.
Weiterhin spricht Manning eins der großen wissenschaftlichen Bücher über Japan "Chrysantheme und Schwert" von Ruth Benedict an. Ich bin ein Fan dieses Buches, hab es dreimal gelesen und er stellt sich Argumentation in Frage. Es ist lediglich eine Definition der Worte "Scham" und "Schuld". Er sieht in beidem keinen Unterschied, während Benedict "Scham" auf Japan und "Schuld" auf die westliche Welt bezieht. Im Nachhinein kann ich seiner Argumentationskette nicht ganz folgen, ich sehe es wieder ganz anders. Auch ein weiteres gefeiertes Werk über japanische Gesellschaft "Strukturen der japanischen Gesellschaft" von Chie Nakane "zerreißt" er. Sie beschreibt in dem Buch die "einmalige" Hierarchie der Japaner, zu Hause und in der Firma. Praktisch ist hier nichts verkehrt, auch bei Benedict nicht, jedoch macht Manning klar, dass dies nicht "Einmalig" ist. Es ist lediglich etwas was sich aus einer Situation heraus entwickelt hat und bei einer Krise gerne über den Haufen geworfen wird. Die von Nakane beschriebene Struktur in den Firmen ist nicht alt genug um als kulturell japanisch zu gelten.Zudem, betont er, gehen diese Wissenschaftler, in diesem Fall Nakane, als später auch Doi, von einem begrenzten Raum in Japan aus. Dies mag durchaus in Tokyo der Fall sein, doch ist es auch auf die ländlichen Gegenden übertragbar?
Als noch nicht allzu sehr belesener Student der auch die ländlichen Gegenden nicht kennt, erscheinen einem sowohl die wissenschaftlichen Bücher als auch Mannings Argumenation als schlüssig. Was stimmt?
Dadurch bin ich persönlich stark zum Denken angeregt worden. Gut, die Ethnologie und das was sie mir vermittelt hat, lässt mich (behaupte ich jetzt mal selbstbewusst) nicht mehr alles unvoreingenommen glauben. Mit fehlen durchaus die Erfahrungen um alles objektiv zu betrachten, aber gerade die gewünschte Objektivität scheint einigen Schriftstellern der wissenschaftlichen Bücher zu fehlen.
Das heutige Hauptthema, die Einmaligkeit der japanischen Psychologie, war da ganz wunderbar. Hierzu nennt Manning das Werk "Amaeru" oder auf englisch "The Anatomy of Dependence" von Takeo Doi. Es handelt sich hier um keine wortwörtliche Übersetzung, da es kein vergleichbares Wort in der westlichen Sprache für dieses Konzept des "Amaeru" gibt. Dies allein stellt in gewisser Weise die Argumentation, dass es deshalb dieses Konzept nur in Japan gibt. Es handelt sich hier grob (ich hab es nicht gelesen, will es aber) um das Vertrauen des Menschen (Japaner) in seine Umwelt. Es wird deutlich, dass viele Sachen nicht allein zu schaffen sind, und von daher verfällt man in die Abhängigkeit in die Umwelt. Dazu zählt das Chef-Angestellter-Verhältnis oder das studentische kohai-sempai-Verhältnis. Auf meine Argumentation, dass das schon in Benedicts "Chrysantheme" in Bezug auf das Familienleben auftaucht, wird aufgearbeitet, dass genau dass der Fall ist: das japanische Leben wird mit einer Familie verglichen (weshalb man durchaus in anderen Ländern von dem Konzept "Amaeru" in,im kleinsten Fall, der Familie ausgehen kann). Hierbei wird aber das gesamte japanische Volk als "warmer, wohlhütender" Ort und Gruppe bezeichnet.
Aha, aber geht es nicht jedem von uns so? Ich mein, ich fühl mich in meinem Land mit gleichgesinnten Leuten auch sicherer. Und dazu kommt sowieso die Frage, ob die Abhängigkeit in der Familie (zu den Eltern) speziell japanisch ist. Das kohai-sempai-System kenn ich ehrlich gesagt nur in Japan, aber Chef-Angestellter-Verhältnisse der japanischen Art sind auch in Deutschland zu finden.
Aber hier sind wir heute in eine spannende Geschichte geraten: exemplarisch zu dieser These das Japaner in Japan "amaeru" erfahren, wird dsa Phänomen "Paris Syndrom" erwähnt. Hierbei handelt es sich um eine "mental illness" die einen Toursuten befällt, wenn er in Frankreich ist. Es ist wohl auf kulturelle Unterschiede, dementsprechend Kulturschock und behaupte mal ganz frech, auch das relativ ignorante Verhalten der Franzosen zurückzuführen. Speziell hat es an sich nichts mit Japan direkt zu tun, jedoch hat es in den 80ern einen kannibalischen Mord durch einen Japaner in Frankreich gegeben. Es hat damals hohe Wellen geschlagen und, ich finde spannenderweise, ist Issei Sagawa, in Japan auf freiem Fuss. Die Gründe des Mordes sind nicht ganz klar, aber um der "Amaeru"-Argumentation zu folgen ist dies passiert, weil Sagawa nicht in seinem wohlbehütenden Umfeld war und keinerlei Rückhalt erfahren hat. Sein Leben in Japan soll nun "normal" verlaufen. Sprich, die Behütung heilt ihn.
Es gibt auch Romane die auf dieses "Amaeru"-Konzept aufbauen und einen Verfall der geistigen Gesundheit im Ausland beschreiben. Aber trotzdem, so Manning und auch unsere Erfahrungen, ist dieses Konzept nicht unbedingt auf ganz Japan zu beziehen. Tokyo selber ist in den Augen von Japanern eine unfreundliche Stadt in der eher ignoriert als behütet wird (die dazugehörige wissenschaftliche Quelle ist mir entfallen, Manning hat sie aber genannt).

Um nicht noch mehr vom Unterricht, der absolut spannend ist, erzählen zu müssen: zu einzelnen Themen will ich viel mehr lesen und wissen um selbst hinterfragen zu können und obwohl ich selber häufig genug gewisse Verhalten mit dem Argument "Japaner!" abtue, so ist es doch so ein Argument wie "Männer!". Man kann das Wissen nicht unbedingt in Worte fassen. Aber jetzt ist aber immer noch die Frage offen: Sind Japaner einmalig? Wenn ja, worin?

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